Deutsch sein.
Bist Du Deutsche oder Deutscher?
Offensichtlich kannst Du deutsch lesen. Das ist gut.
Ob Du verstehst, was mich bewegt, zeigt
sich nach dem Ende dieser kurzen Geschichte.
Ein Blick aus Sizilien auf die
„deutsche Kultur“, auf deutsche Werte und ein Blick in Richtung
Wahrheit und Freiheit.
Falls Du zu denen gehörst, die den
Begriff „deutsch“ mit unangenehmen Reaktionen erlebst oder
verbindest, halte bitte kurz durch und lass mir Dir bitte meine
Definition für diese Geschichte näher bringen.
In meiner Vorstellung meine ich nicht
das Land, den Pass, das Fußballteam, kein nationales Bild.
Es geht mir heute um die Sprache. Die
Worte, die wir verwenden. So ist deutsch, wer deutsch denkt, träumt,
spricht, schreibt, liest und insbesondere deutsch versteht.
Wenn Du den Unterschied zwischen
zu-hören und hin-hören begreifst:
Dies nenne ich hier „deutsch
sein“.
Dieser Menschenkreis ist, kulturell,
ethnisch und historisch miteinander verbunden. Es ist ein geistiges
Band unter Verwendung der gleichen Worte.Wir denken in sich
gleichenden Worten, Sätzen, Bildern und deren Bedeutung.Unsere Werte
klingen gleich. Kling, klang.
Dabei spielt es keine Rolle ob Du
BRDler, Schweizer, Österreicher, Dutch, im Exil oder „Deutscher
auf Sizilien“ bist: Du kannst es drehen und wenden, die Sprache
verbindet uns.
Hier auf der Insel, grenzen sie mich
als deutschen von deren Kulturkreis, mit großer Bewunderung, ab. Ich
empfinde es sogar als ein Privileg. Es geht mir, in dieser Geschichte
um dieses Deutsch sein.
Es geht mir um den deutschen Geist.
Es geht mir um ein Plädoyer für das
deutsch sein. UNS deutsch denkende. Nicht um Nationalstolz. Nicht
überheblich oder erhaben. Ein Versuch einer subjektiven Sicht auf
den deutschen Volksgeist und dessen Qualität.
Bei aller Individualität basiert unser
Denken auf einem Fundament aus Erinnerungen, Glauben, Wissen sowie
Erfahrungen. Meine These ist nun, dass dieses Fundament bei
„Generationsblöcken“ sehr ähnlich ist. So wissen wir den
Unterschied zwischen beispielsweise spitz oder stumpf mit hoher
Trefferquote zu unterscheiden. Au. In meiner Wahrnehmung gilt diese
Treffsicher auch für komplexere Beschreibungen. Deutsche
Wortskalpelle filetieren präzise eine Bedeutung.
Seit ich hier auf der Insel lebe, wird
mir der Unterschied meiner Art zu denken und zu handeln, sehr
bewusst. Richtig bewusst wurde mir, als ich feststellte, die
Sizilianer haben für etwas, das ich präzise mit einem Wort
beschreiben kann, einen Sammelbegriff. Tendenziell werden Worte hier
hauptsächlich benutzt um Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Es geht
hier ums mitfühlen, nicht ums verstehen.
Dazu ein einfaches Beispiel: Auto,
Küchenmaschine und Rasierapparat und noch weitere hunderte
motorbetriebene Gerätschaften heißen hier immer: „Macchina“
frei übersetzt: „Maschine“. Fertig.
Nicht, dass, würde man suchen, kein
anderes Wort zu finden wäre. Nein. Man benutzt es nur nicht. Benutzt
Du es, versteht keiner, von was Du sprichst.
Als Kulturunterschied beobachte ich, es
ist die Emotion versus den Geist oder Herz versus Verstand im
materialistischen Sinne. Was wir denken wird hier gefühlt.
Seelendominanz versus wissenschaftlicher Berechnung, Analyse und
logischem Handeln.
Beides Extreme. Beides in zu starker
Ausprägung nicht heil fördernd. Aktuell, nach 16 Jahreszeiten,
empfinde ich den Konsens und den Kompromiss in der Akzeptanz, dass
wir eben nicht alle gleich zu machen sind. Darin liegt der wirkliche
Schatz unseres Seins und Wirkens. Deutsch zu sein ist somit eine
Qualität, die von anderen bewundert, mir selbst jedoch zum
Verhängnis werden kann. Ganz besonders dann, wenn ich dies
verleugne.
Beispielweise kocht eine Vielzahl der
„Deutschen“ streng wissenschaftlich. (Zutaten, Rezeptur,
Herstellungsverfahren etc.) was dazu führte, dass Omas Käsekuchen
zu 99% gelungen gut schmeckte.
„Mama Sicila“, zaubert mit dem was
da ist, worauf die Lust Lust hat, nur einer Grundidee folgend eine
„Pasta con Succo“. Hier wörtlich „Nudeln mit Saft“. Warum
Saft und nicht Soße blieb mir bislang schleierhaft, ist es doch ein
täglich zentrales Thema. Es wird die aber tausendste Variante, sie
ist erstmals, einmalig. Und auch die „Saftnudeln“ schmecken
jedes mal gut, niemals jedoch gleich. Beides scheint somit
zielführend. Stillt es am Ende doch Hunger oder Lust.
Nun wird die Pasta, traditionsgemäss
und gesellschaftlich anerkannt „a´luna“ serviert. Das bedeutet
nicht auf dem Mond, nein „um EINS“. Ein Uhr ist auch der einzige
Termin (im deutschem Sinne des Wortes) im Tag eines Sizilianers der
(einigermassen) pünktlich stattfindet.
Alles unwichtige, denn das einzig
wirklich wichtige ist das Essen, wird in grosszügigen Zeitfenstern
wie „morgens“, „nachmittags“ oder „abends“ erledigt.
Genauer geht es nur, wenn Du Geld
bringen willst. (Scherz am Rande!)
Die Grundhaltung, insbesondere wenn es
um etwas verschiebbares geht, ist einvernehmlich: Lass uns das morgen
machen, bzw. vornehmen. Ein ewiger Kreislauf des Verschiebens ist
somit Teil dieser Kultur und mitunter ein Grund warum das Land so
ist, wie es ist.
Domani, - morgen ist das Zauberwort für
Gelassenheit und Zeit für Freundschaft, Familie und
unvorhergesehenes, was einem das Leben so zu spielt.
Nun blicke ich aus der Ferne auf meine
Heimat. Freiburg. Der Schwarzwald. Die Ortenau. Das Oberrheintal und auch
Berlin und die ganze D-A-CH Region. Das bisherige Zentrum des deutsch
seins.
Was ich da vermittelt bekomme, lässt
mich zaudern und mir stellen sich die Nackenhaare. Es stellt sich die
dringliche Frage: Was, zum Teufel (!) ist da los? Wie kann sich, ein
geschätztes Dreiviertel, eines Volksgeistes so einlullen lassen?
Die Politik erscheint, wie eine
schlechte Komödie auf einer veralteten Heimatbühne, bei der die
Requisiten bereits zerfallen oder abgebaut werden, das Licht längst
an, der dreckige und abgewetzte Boden der Bühne gut sichtbar, die
Zuschauer im Raum längst alle eingeschlafen, um sich ihre eigene
Geschichte erträumen. Die Akteure spielen aus Gewohnheit das
bekannte Spiel einfach weiter. Vermutlich auch aufgrund mangelnder
Perspektiven. Berufspolitiker ist schliesslich die einzige Karriere
zu der es keinerlei Prüfung, Zertifikat oder Eignungsnachweis gibt.
Handwerksmeister verstehen, zu welcher Qualität es führt, wenn man
unwissend, schlampig und unqualifiziert arbeitet.
Nun, das Stück ist zu Ende und kaum
jemand hat es bemerkt. Wissend, dass jedoch Du, der Du bis hier
gelesen hast, zu den 20 Prozent gehörst, die Saal bereits verlassen
haben fahre ich nun fort mit meiner Geschichte:
Ich bin mir bewusst, mein Blick, meine
Weltsicht ist weltfremd. Lebe ich doch im fernen Sizilien, vollkommen
natürlich, bei maximaler Freiheit im Wohnwagen, mit Frau, Hund,
Katz, Huhn, Blumen und Getier. Bin vollkommen zufrieden und glücklich
mit meiner von mir erschaffenen Welt. Mein Schaufenster in die
Heimat, nach Deutschland besteht aus Erinnerungen, Berichten von
Menschen und dem was mir das Handydisplay als Info anbietet. Ich habe
viel freie Zeit, zur freien Verfügung und kann bis auf wenige selbst
auferlegte Pflichten so ziemlich alles machen was ich tun will.
Als bekennender Christ ohne Kirche,
folge ich den Grundwerten und Konzepten der Wahrheit.
Aber wer kann schon von sich sagen, er
habe alles verstanden und durchschaut?
Ich kann es nicht. Doch hat mich meine
etwas unkonventionelle Lebensform doch mit der Nase auf die markanten
Qualitäten des deutschen Denkens gestossen.
Was ist es, was die Menschen, die nicht
„deutsch“ sind an uns deutschen schätzen? Fragen wir Sie, sind
es fast schon antike und traditionell anmutende
Charaktereigenschaften: Verbindlichkeit, Zuverlässigkeit,
Pünktlichkeit , Wissen, Können, Sauberkeit, Zurückhaltung,
Höflichkeit sind in meiner empirischen Befragung die meist genannten
Werte. Das meiste davon, hatte ich bei mir selbst gar nicht mehr als
„besonders“ wahrgenommen, weil es im eigenen Land so
selbstverständlich ist. Die persönlich empfundene Qualität dieser
Werte, wurde mir besonders dann bewusst, wenn mein Gegenüber diese
alle nicht zu Tage bringt. Ich stellte rasch fest, der Sizilianer
sagt selten was er meint und meint selten was er sagt. Mir blieb nur
Haareraufen.
Zur Ehrenrettung des Sizilianers bleibt
festzustellen, dass dieser dafür Qualitäten und Werte in die
Waagschale wirft, dir mir anfänglich suspekt waren. So zum Beispiel
eine ungespielte Herzlichkeit. Nähe. Unverdeckte Emotionen.
Redseligkeit.
Es begab sich im ersten Jahr auf der
Insel. Wir hatten für kleines Geld ein großes Haus am Berg
angemietet. Mit wirklich großem, mediterranen Garten und einem
Panorama bis Malta, Afrika und hoch über die Stadt Licata. Jeder
Abend mit magisch buntem Sonnenuntergang, bei dem wohl alle großen,
verstorbene Künstler im Wechsel Regie führen. Unsere üppige
Terrasse war beliebt bei Freunden aus Deutschland. Gelegenheit für
einen günstigen Urlaub. So hatten wir drei Gäste im Haus. Unser
Wasserverbrauch schnellte in die Höhe, als wollte er, mit der Höhe
unserer guten Laune miteifern. Wie kostbar Wasser hier ist, wurde uns
allen erst bewusst, als die Pumpe unserer Zisterne quietschende Töne
von sich gab. Sie quietschten mir zu: Das Wasser ist leer. Das Wasser
ist leer. Ups. Gestern dachte ich, sie sei noch gut voll. Extra kontrolliert beim hausmeisterlichen Rundgang. Die vielen
Wassertransportaufkleber an den Laternenmasten der Straße zu unserem
Grund, machten jetzt voll Sinn. Antonio, Telefonnummer und ein Bild
vom Wassertankerlaster, verstehe ich. Ist wie Comic lesen. Es war
gegen 14 Uhr. Gute Zeit, dachte ich noch. Ich ruf da an und denke so
gegen 17 Uhr ist das Glück und die gute Laune wieder vollständig
hergestellt und wir können den Sonnenuntergang mit Wein erneut geniessen.
Rechnung ohne den Wirt gemacht. Siesta.
Zwischen eins – a luna - und fünf, gezollt der Wärme und Hitze im
Sommer, läuft hier erst mal gar nichts. Um Fünf kommt zunächst das
Telefonat zustande. Ein neuer Kunde. Deutsche. Touristen zu Besuch.
Er verstand sofort und es fühlte sich eher an als habe ich ihm einen
Sechser im Lotto mitteilen dürfen. Vernünftig erklärte er uns,
dass es Wasser erst morgen früh wieder gibt. Das können nur die
Götter ändern. Aber morgen früh „Mattina“, gleich und schnell,
subito. Ist ja klar, Sie haben Gäste und da braucht man Wasser. Ein
Philosophischer Schluss, „dove aqua, che la vita“ - wo Wasser
ist, ist Leben - und eingehängt. Ok. Literzahl, Preis, Uhrzeit?
Keine Information. Doch klar, morgen früh. Einige Wasserkanister
hatte ich in weiser Voraussicht in Reserve. Klo, Waschbecken und
Küche konnte man rudimentär überbrücken. Kommt das Wasser mal ne
Nacht eben nicht aus dem Hahn. Abend gelungen.
Den Rest, der Geschichte, nachdem ich
am folgenden Morgen ab acht geputzt und gestriegelt auf Antonio
gewartet habe, erspare ich Dir. Nur soviel, ich plane heute für Eine
(!) Sache Zwei (!) Tage ein. Das Wasser kam, freundlich und
preisgünstig. Frisch und sauber. Antonio sagt sogar es ist das beste
Wasser weit und breit, aus den Bergen. Auch wenn die Geschichte nicht
stimmt, so wäre es doch eine Erklärung für den Verzug, erst am
übernächsten Tag, nachmittags im Hof zu stehen. Als hätten wir vor
einer halben Stunde erst telefoniert.
Ich erzähle diese Geschichte, als eine
von hunderten, die mir bis heute widerfahren sind. Vielleicht ahnst
Du dabei wie kostbar es ist, auf gleichgesinnte mit gleichen Werten
zu treffen. Insbesondere dann, wenn Dein wahres Leben und dessen
sinnvolle Erfüllung nicht nur in Urlaub machen aufgeht.
Es gibt noch einen gravierenden
kulturell verankerten Wesensunterschied. Der Sizilianer, im Kern,
arbeitet nicht gern.
Mit dieser Erkenntnis wurde ein
weiterer deutscher Wesenszug offenbart. Wir arbeiten, schaffen gerne.
Unsere Passionen verbinden sich häufig mit unserem Schaffen. Sofern
man uns lässt.
Es hat ein wenig gedauert, bis mir
bewusst wurde, dass „man“ mein Streben nach Arbeit zwar
anerkannte, ja fast schon bewundert, - Verständnis erfahre ich
jedoch keines. Wie man gerne arbeitet, also Freude bei der Arbeit
empfindet, erschliesst sich dem „Sizilianer“, im Klischee, nicht.
Als tagesaktuelles Fazit erkenne ich
welch Tugenden hier gespeist werden. Es ist die Gelassenheit, die
Geduld und auch die Demut. In Wahrheit ist Kultur und deren
respektvolle Akzeptanz ein Weg in die Freiheit. Im Spiegel erkennen
wir die eigene Kultur als Natur eines Kulturschocks.
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