Dienstag, 4. Oktober 2022

Versöhnung

 


In den letzten Wochen fällt es mir nicht leicht, mein Innenleben zu offenbaren. Immer wieder beschleicht mich der Gedanke, es ist doch bereits alles gesagt, alles niedergeschrieben und wer will, könnte auch verstehen.

Jedes weitere Wort scheint mir unnütz. Die, die mich verstehen, langweilen solche Zeilen und alle anderen empfinden mich als anmaßend, überheblich, arrogant, besserwisserisch. Obwohl ich versichere, all das habe ich weit hinter mir gelassen. Weich, zart, klein, verletzlich, altruistisch, suchend – ja das bin ich in Wirklichkeit, auch wenn dies so gar nicht zu meiner körperlichen Erscheinung passt.

Wer den Initiierungen-Weg geht, kommt in seinem Verlauf an dieser Weggabelung vorbei, an der ich gerade stand. Sehr lange lagerte ich hier, um eine Entscheidung ringend. Diese Kreuzung ist tückisch, glaubte ich doch auf den ersten Blick, ich muss mich nun für links oder rechts entscheiden, um weiterzugehen. Der breite ausgetrampelte, feste Weg nach links. Modern, zügig, gut, einfach und komfortabel erscheint die linke Abzweigung. Rechtsherum, ein wenig Moos bedeckt, stellenweise etwas dornig, jedoch vertraut, bekannt und richtig. Nicht einfach für mich zu wählen. Ich entscheide mich zunächst an dieser wichtigen Kreuzung zu verweilen.

Eine Pause tut jetzt gut, um sich zu sammeln und genau abzuwägen. Mein Blog war ursprünglich angedacht Kulturunterschiede zwischen Sizilien und dem Schwarzwald aufzuspüren, sowie ein wenig den Zeitgeist zu erfassen. Jetzt, wo Deutschland wieder, mit wehender, auf den Kopf gestellter Fahne, völlig irrsinnig, ohne Soldaten im Rücken in den Krieg rennt. Die Sizilianer, politisch recht desinteressiert, sich höchstens um den Preis für die Pasta sorgen.  Jetzt ist mein ursprüngliches Anliegen so nichtig und klein – völlig unwichtig geworden. Offenbart mein suchender Blick in die Gesellschaften doch zumindest, wohin uns des Teufels Weg, mit Materialismus, Geld, Gier und Egoismus, aktuell führen würde. 

Doch wer bin ich, dies zu verurteilen oder zu bewerten? Zeitzeuge zu sein, wird mir allerdings niemand abstreiten wollen. Ich sehe nun einmal, was ich sehe. Ich höre, was gesprochen wird und ich lese, was niederschrieben ist. 

Krieg oder Frieden bedeutet links oder rechts? Wo ist der Haken? Alle die Jahrhunderte ging dieses Konzept nie auf. Vielleicht zeitweilig, bis wieder jemand singt: „Wo sind all die Blumen hin…; Werden Sie denn nie verstehen?...“

So denke ich an meiner Weggabelung und erkenne ganz klar und deutlich: Keiner der ausgetrampelten, bereits begangenen Pfade führt dahin, wo Menschen menschlich sind. Frieden scheint auch ein Konzept, das den Krieg ausschließen muss. Die Polizei, Richter, Alarmanlagen, Zäune und natürlich ein friedliches bewaffnetes Militär benötigt und die Einfriedung abzusichern. Das hat indessen zigmal nicht funktioniert und kann nur eine Übergangslösung sein. Ich dummer visionärer Träumer aus dem Lala-Land komme in meiner Vision ohne Polizei und Gefängnis aus, weil kein Mensch mehr auf die Idee kommt zu stehlen. In meinem Tagtraum sehe ich diesen Menschen an und weiß, was er benötigt. Das bekommt er dann geschenkt. In meiner Fantasterei gehen Menschen liebevoll und freundlich miteinander um. Sie nehmen sich in den Arm und unterstützen einander. Selbstlose Nächstenliebe ist in meiner Utopie die Norm. Alle sind so. Alle machen mit. In meinem weltlichen Paradies leben Menschen, Tiere und Pflanzen harmonisch nebeneinander. Benötigen und Wollen gehören der Geschichte an, weil einfach alles da ist. Alle sind versorgt und alle sind gesund und alle sind versöhnt. Was denkbar ist, ist auch machbar.

Ein lautes Geräusch holt mich unsanft aus meinem Tagtraum und ich stehe wieder an meiner Weggabelung. Es wird mir nun sonnenklar: nicht links oder rechts, nicht Mann oder Weib, nicht gut oder böse.

Keiner der vor mir liegenden Wege führt in mein Paradies. Ich finde dorthin nur, wenn ich einen neuen Weg beschreite, mir meinen eigenen persönlichen Weg bahne. Mich nicht scheue vor dem Unbekannten, vor Steinen, Dornen oder Spinnen. Es gilt nur das erste Hindernis zu überwinden: Allein losgehen ins Ungewisse. Bin ich losgezogen, bin ich völlig sicher, da ab diesem Moment Gott mich behütet.

So erinnere ich mich an Matthäus: „Freuet euch und frohlocket; denn euer Lohn ist groß im Himmel; denn also haben sie die Propheten verfolgt, die vor euch gewesen sind.“

Ich gehe indessen weiter auf neuen Wegen. Bereit, mich allem zu versöhnen. Ganz besonders mit den Schatten meines eigenen Seins, meinen Feinden und Gegnern: 

Versöhnung.


Mittwoch, 3. August 2022

Wir haben viel zu viele Zecken

 


Meine Siesta tat mir gut. Es ist gut warm, geschätzt knapp unter vierzig Grad. Etwas träge und ziemlich verschwitzt bewege ich mich, aus unserer Schlafkajüte im Wohnwagen, Richtung Dusche im Garten.

Kaum erreiche ich die vor den Caravan geschusterte Holzterrasse, begrüßt mich freudig, hüpfend, springend um die Beine tänzelnd, Welpe Max. Oder ist es Moritz? Selbst nach rund drei Monaten kann ich die beiden eineiigen Hundezwillinge optisch immer noch nicht unterscheiden. Wie immer muss ich lachen, die unbeholfenen Pfötchen Bewegungen, die echte pure Freude des Wiedersehens sind einfach ansteckend und ich beuge mich zu dem kleinen schwarzen Knäuel, um ihn zu streicheln.

Oh, nein, nicht schon wieder. Gestern Abend hatte ich den Zappelphilipp doch schon fast eine Stunde unter meinen Fingern: Hunderte von Zecken an den Ohren, zwischen den Zehen, in den Achseln, am Nacken, ach, einfach überall. Wo kommen die „verdammten“ (darf ich nicht sagen) Dinger nun schon wieder her?

Ich könnte vor Verzweiflung heulen und unterbreche meinen Weg zur Dusche sofort, schnapp den Kleinen, leg ihn rücklings auf meinen Schoß und lege los. 

Ein Eimer mit Wasser ist bereits neben mir gerichtet und meine liebe Frau Daniela, die mich gut kennt und genau weiß, diese akribische Gedulds-Prozedur dauert jetzt wieder eine gute Stunde, versorgt mich zumindest mit einer selbst gemachten und eisgekühlten Zitronenlimonade. Dankbar, nehme ich einen großen Schluck und lege los. 

Zecke für Zecke drehe ich zwischen Daumennagel und Zeigefinger raus und ersaufe sie im Eimer. Zecke um Zecke. Nach sieben Jahren und über fünfzig Hunden unter meinen Händen, ein routinierter Griff.  Und komm mir keiner mit „Zeckenzange“ und „Drehtechnik“ und so’n Quatsch, bitte nicht. Wir sind auf Sizilien und es gibt hier viele, sehr viel Straßenhunde in Not.  Ein blutiges Geschäft und der kleine Hund grummelt süß und entspannt sich dabei. Er kennt die Prozedur. In den letzten Tagen ist es das vierte Mal. 

Viele Gedanken schießen mir bei dieser monotonen Pflege durch den Kopf. Ich frage Gott, wofür Zecken gut sind? Ich frage ihn, ob „Du sollst nicht töten“ auch für die Zecken und mich gilt und ob er denn eine Ausnahme für mein Karma machen könnte? Immerhin hätte die Zecke ja die Chance, im Eimer zu schwimmen. Was kann ich dafür, wenn die blöden Blutsauger nur tauchen wollen? Soll ich den kleinen unschuldigen Hund elendig vom Getier auffressen lassen? Für mich als Christ ist das wirklich eine Gewissensfrage. Ich spüre Gottes Wohlwollen dabei und auch seine Antwort ist liebevoll und zart, jedoch mein menschlicher Verstand, sagt mir ganz klar: Diese Zeckenplage ist nur Ausdruck unserer Gesellschaft und deren Ungleichgewicht. Ich sinniere weiter und ein Ohr des jungen Streuners ist bereits blitzblank. 

Mein ganzer Körper juckt und in meiner Vorstellung krabbelt es bereits an mir überall. Wenn ich nachschaue, ist da natürlich nichts. Fantastisch, wie real sich Einbildung anfühlen kann. Aber ich schweife ab, das wäre eine andere Geschichte. Die Zecken sind schließlich nicht gänzlich eingebildet.

Unweigerlich denke ich beim Entdecken an Ungeziefer, Parasiten, Blutsauger, Gesocks und warum auch immer, gleichzeitig an Politiker, Journalisten und machtgierige, herzlose Taugenichtse. Ich verbiete mir, diese Gedanken weiterzuspinnen. Da bin ich sehr konsequent. Auch das sind Menschen und mit einem kurzen Gedanken an deren Kindheit, durchströmt mich nur noch Mitgefühl und ein trauriges Bedauern. Ich zwinge meinen Geist dazu, sich um Lösungen zu kümmern. Permakultur, biologisch – hin und her, was kann ich tun um die Zecken und Stechfliegen Plage, in diesem so trockenen Sommer, für uns alle erträglicher zu machen? Alle Sizilianer, die auch einen Schlafplatz im „Campania“ haben, sprühen einmal pro Woche mit der Gartenspritze den Wohnbereich im Garten ab. Ich erinnere mich an meinen geliebten Großvater, Gott hab ihn selig. Auch er spritze gelegentlich. Was er benutzte, weiß ich nicht, in Erinnerung blieb mir nur E605. Das „Schwiegermuttergift“ war wohl das „Roundup“ der Alten. Suizid-Hilfe, Rattengift und Pestizid in einem. Es sind Kindheitserinnerungen, unvollständig, lückenhaft und durch Manipulation einiger menschlicher „Zecken“ nachjustiert. 

Obst und Gemüse aus Opas Garten habe ich reichlich gegessen. Es war schmackhaft, lecker, unser damaliges „Bio“ und ich bin heute noch recht gesund. Kann, so trügt mich meine Logik, nicht ganz so schlimm sein. Ich entschließe mich in Gedanken, morgen zum Agrargroßhändler zu radeln, um mir etwas Konzentrat zu holen. Die 18 € tun mir, bei meinem Schmalspurbudget, echt weh, jedoch scheint mir der Chemie Kompromiss die beste Lösung. Besser als dieses doofe und teure „Frontline“ Zeugs. Da malt mein Geist immer Horrorgeschichten, von kleinen Babys mit Floh- und Zeckenhalsband, aus. Keine Mutter würde Ihr Kind so vergiften, oder? 

Das zweite Ohr, das Gesicht, der Hals und der größte Teil des Bauches sind nun freigelegt. Der kleine, schwarze Racker wird ein wenig unruhig und ich beruhige ihn mit zärtlichen Worten und einer kurzen Streicheleinheit. Gelegenheit auch meine eigene Starre ein wenig zu entspannen, den Rücken aufzurichten und in den „Endspurt“ zu treten. Einen großen Schluck Limonade, zwei Züge von der Selbstgedrehten. Die angerauchte Zigarette lag seit heute Morgen noch auf der Kante des Aschenbechers. Weiter gehts. 

Jetzt habe ich noch mal zehn Minuten, dann verweigert sich das Hündchen. Wir kennen uns schon relativ gut und ich erhöhe die Taktzahl. Zecke um Zecke wird zum „Schwimmen“ geschickt. Tatsächlich mühsam und ein wenig Traurigkeit kommt auf. Bei solchen Taten verliebe ich mich so sehr in diese Tiere, dass es bereits jetzt schon schmerzt. Mir ist gleichermaßen bewusst, so Gott will, werde ich ihn abgeben oder sterben sehen. Annahme und Loslassen finden in meinem Herzen immer zeitgleich statt. Vielleicht habe ich selbst ja einfach nur einen an der „Waffel“. Egal, ich bin so und zum Glück ist da irdisch niemand mehr, dem ich Rechenschaft schuldig bin. Niemand! Die Zecke tut mir leid.

Kurz nicht aufgepasst, meldet sich der Teufel mit den Politikern wieder. Diesmal will er mir die Idee von Roundup und der Schlangenbrut schmackhaft machen. Ich gestehe, er ist raffiniert und kennt meinen Humor ziemlich genau. Grinsend jedoch schicke ich auch diesen Gedanken zum Teufel zurück und konzentriere mich auf die letzten Quadratzentimeter Fell. Gedanken frei, geschafft, dusche ich zunächst den Welpen gründlich, um ihn anschließend trocken zu rubbeln und mit Kamille-Babypuder zu besänftigen. 

Nun besänftige ich mein Jucken und mich und komme endlich, nach der Siesta, zu meiner Dusche.

Ja, auch die Wahrheit, die Freiheit und die Liebe haben einen Preis. Welchen, das kannst Du mir sicher sagen? Heute Abend ist der andere Zwilling dran. Dann denke ich vielleicht weiter?


Freitag, 15. Juli 2022

Heute fliegen die Bomber

 


Die Gelben Engel der sizilianischen Lüfte faszinieren einerseits, betrüben andererseits. Allein schon die technischen Daten der Canadair, die Kompetenz und die Ruhe der Piloten, das stoische Kreise ziehen, im Kampf gegen den menschlichen Schwachsinn, macht mich nachdenklich.
Wie viel Erfolg hat so eine  „Luft-Wasser-Spritzpistole“? Wie viele Menschen, Tiere, Pflanzen haben Sie wohl vor dem Feuertod bewahrt? Ich habe keine Ahnung.

Das monotone, dumpfe Surren der Propeller, die greifbar nahen Überflüge hier, der träge Rhythmus und wo ich hinschaue, kleine, große, rauchende Brände. Allesamt ohne Beachtung. Ansiedlungen, Wald, Bäume, dafür reichen die Kapazitäten gerade so und man kämpft um jeden Einzelnen. So wie Gott um uns.

Je nach Modell können die Canadairs 5000 bis 6.000 Liter Wasser aufnehmen. Zum Aufladen senkt sich das Flugzeug auf die Wasseroberfläche, verringert seine Geschwindigkeit auf ca. 130 km/h, öffnet zwei spezielle, einziehbare Einlässe am Bauch, tankt sich in 12 Sekunden auf und hebt wieder ab. Italien hat sechzehn davon, jede mit einer Reichweite von sechs Stunden. Heute fliegen hier zwei. In Catania um 11 Uhr gestartet. 

Die Juniwärme ist nun in feurige Hitze übergangen. 40 Grad sengende Sonne, zwingen zur Siesta. 
Alle 15 Minuten ein Überflug. Alle halbe Stunde ein kaltes Bad oder eine Dusche, als „heiß gekühlte“ Überraschung, machen die Temperaturen erträglich. Der fast immer da seiende Wind, die nächtliche Meeres kühle, mein akklimatisierter Körper – zusammen und mediterran betrachtet, ist sogar der „Brutofen“ Sommer Siziliens, ein wesentlicher Teil meines „Dauerurlaub“. Essen und Trinken. Palavern. Schlafen. Ein paar wenige Stunden Arbeit am Laptop oder im Garten. 

Nur halt der Pilot heute nicht. Er schrubbt wie ein Schweizer Präzisionsuhrwerk seine 6h. Länger als ein Formel-1-Rennen, bei voller Aufmerksamkeit. Im Flieger gibt es kein Anhalten. Es fliegt sich ohne Motorkraft nur vorwärts – abwärts. Ich habe allen Respekt vor der Konzentrationsfähigkeit. 
Fürs Protokoll. Ich erzähle die Wahrheit:

Vielleicht ist für einen Piloten das Fliegen eines Tages wie Laufen oder Autofahren und er fliegt das Ding und guckt in der Landschaft herum und sinniert über Gott und die Welt. Auch das, weiß ich nicht. Ich kenne leider keinen der Piloten persönlich. Ihnen wird auch völlig egal sein, was ein deutscher in Sizilien über sie denkt oder schreibt.

Garfield, unser tauber, schneeweiße Angorakater, versucht stoisch monoton eine Schranktür zu öffnen. Susi, unsere kleine Jagdhündin, liegt mir zu Füßen und leckt meine Blessuren vom Kapern pflücken an den Schienbeinen. Unser Gockel kräht. In Deutschland kosten Cocktailtomaten 17 € das Kilo. 34 Mark!  

Die Zeit ist für einen Moment nicht anwesend. Ewig kam es mir vor.