Mittwoch, 3. August 2022

Wir haben viel zu viele Zecken

 


Meine Siesta tat mir gut. Es ist gut warm, geschätzt knapp unter vierzig Grad. Etwas träge und ziemlich verschwitzt bewege ich mich, aus unserer Schlafkajüte im Wohnwagen, Richtung Dusche im Garten.

Kaum erreiche ich die vor den Caravan geschusterte Holzterrasse, begrüßt mich freudig, hüpfend, springend um die Beine tänzelnd, Welpe Max. Oder ist es Moritz? Selbst nach rund drei Monaten kann ich die beiden eineiigen Hundezwillinge optisch immer noch nicht unterscheiden. Wie immer muss ich lachen, die unbeholfenen Pfötchen Bewegungen, die echte pure Freude des Wiedersehens sind einfach ansteckend und ich beuge mich zu dem kleinen schwarzen Knäuel, um ihn zu streicheln.

Oh, nein, nicht schon wieder. Gestern Abend hatte ich den Zappelphilipp doch schon fast eine Stunde unter meinen Fingern: Hunderte von Zecken an den Ohren, zwischen den Zehen, in den Achseln, am Nacken, ach, einfach überall. Wo kommen die „verdammten“ (darf ich nicht sagen) Dinger nun schon wieder her?

Ich könnte vor Verzweiflung heulen und unterbreche meinen Weg zur Dusche sofort, schnapp den Kleinen, leg ihn rücklings auf meinen Schoß und lege los. 

Ein Eimer mit Wasser ist bereits neben mir gerichtet und meine liebe Frau Daniela, die mich gut kennt und genau weiß, diese akribische Gedulds-Prozedur dauert jetzt wieder eine gute Stunde, versorgt mich zumindest mit einer selbst gemachten und eisgekühlten Zitronenlimonade. Dankbar, nehme ich einen großen Schluck und lege los. 

Zecke für Zecke drehe ich zwischen Daumennagel und Zeigefinger raus und ersaufe sie im Eimer. Zecke um Zecke. Nach sieben Jahren und über fünfzig Hunden unter meinen Händen, ein routinierter Griff.  Und komm mir keiner mit „Zeckenzange“ und „Drehtechnik“ und so’n Quatsch, bitte nicht. Wir sind auf Sizilien und es gibt hier viele, sehr viel Straßenhunde in Not.  Ein blutiges Geschäft und der kleine Hund grummelt süß und entspannt sich dabei. Er kennt die Prozedur. In den letzten Tagen ist es das vierte Mal. 

Viele Gedanken schießen mir bei dieser monotonen Pflege durch den Kopf. Ich frage Gott, wofür Zecken gut sind? Ich frage ihn, ob „Du sollst nicht töten“ auch für die Zecken und mich gilt und ob er denn eine Ausnahme für mein Karma machen könnte? Immerhin hätte die Zecke ja die Chance, im Eimer zu schwimmen. Was kann ich dafür, wenn die blöden Blutsauger nur tauchen wollen? Soll ich den kleinen unschuldigen Hund elendig vom Getier auffressen lassen? Für mich als Christ ist das wirklich eine Gewissensfrage. Ich spüre Gottes Wohlwollen dabei und auch seine Antwort ist liebevoll und zart, jedoch mein menschlicher Verstand, sagt mir ganz klar: Diese Zeckenplage ist nur Ausdruck unserer Gesellschaft und deren Ungleichgewicht. Ich sinniere weiter und ein Ohr des jungen Streuners ist bereits blitzblank. 

Mein ganzer Körper juckt und in meiner Vorstellung krabbelt es bereits an mir überall. Wenn ich nachschaue, ist da natürlich nichts. Fantastisch, wie real sich Einbildung anfühlen kann. Aber ich schweife ab, das wäre eine andere Geschichte. Die Zecken sind schließlich nicht gänzlich eingebildet.

Unweigerlich denke ich beim Entdecken an Ungeziefer, Parasiten, Blutsauger, Gesocks und warum auch immer, gleichzeitig an Politiker, Journalisten und machtgierige, herzlose Taugenichtse. Ich verbiete mir, diese Gedanken weiterzuspinnen. Da bin ich sehr konsequent. Auch das sind Menschen und mit einem kurzen Gedanken an deren Kindheit, durchströmt mich nur noch Mitgefühl und ein trauriges Bedauern. Ich zwinge meinen Geist dazu, sich um Lösungen zu kümmern. Permakultur, biologisch – hin und her, was kann ich tun um die Zecken und Stechfliegen Plage, in diesem so trockenen Sommer, für uns alle erträglicher zu machen? Alle Sizilianer, die auch einen Schlafplatz im „Campania“ haben, sprühen einmal pro Woche mit der Gartenspritze den Wohnbereich im Garten ab. Ich erinnere mich an meinen geliebten Großvater, Gott hab ihn selig. Auch er spritze gelegentlich. Was er benutzte, weiß ich nicht, in Erinnerung blieb mir nur E605. Das „Schwiegermuttergift“ war wohl das „Roundup“ der Alten. Suizid-Hilfe, Rattengift und Pestizid in einem. Es sind Kindheitserinnerungen, unvollständig, lückenhaft und durch Manipulation einiger menschlicher „Zecken“ nachjustiert. 

Obst und Gemüse aus Opas Garten habe ich reichlich gegessen. Es war schmackhaft, lecker, unser damaliges „Bio“ und ich bin heute noch recht gesund. Kann, so trügt mich meine Logik, nicht ganz so schlimm sein. Ich entschließe mich in Gedanken, morgen zum Agrargroßhändler zu radeln, um mir etwas Konzentrat zu holen. Die 18 € tun mir, bei meinem Schmalspurbudget, echt weh, jedoch scheint mir der Chemie Kompromiss die beste Lösung. Besser als dieses doofe und teure „Frontline“ Zeugs. Da malt mein Geist immer Horrorgeschichten, von kleinen Babys mit Floh- und Zeckenhalsband, aus. Keine Mutter würde Ihr Kind so vergiften, oder? 

Das zweite Ohr, das Gesicht, der Hals und der größte Teil des Bauches sind nun freigelegt. Der kleine, schwarze Racker wird ein wenig unruhig und ich beruhige ihn mit zärtlichen Worten und einer kurzen Streicheleinheit. Gelegenheit auch meine eigene Starre ein wenig zu entspannen, den Rücken aufzurichten und in den „Endspurt“ zu treten. Einen großen Schluck Limonade, zwei Züge von der Selbstgedrehten. Die angerauchte Zigarette lag seit heute Morgen noch auf der Kante des Aschenbechers. Weiter gehts. 

Jetzt habe ich noch mal zehn Minuten, dann verweigert sich das Hündchen. Wir kennen uns schon relativ gut und ich erhöhe die Taktzahl. Zecke um Zecke wird zum „Schwimmen“ geschickt. Tatsächlich mühsam und ein wenig Traurigkeit kommt auf. Bei solchen Taten verliebe ich mich so sehr in diese Tiere, dass es bereits jetzt schon schmerzt. Mir ist gleichermaßen bewusst, so Gott will, werde ich ihn abgeben oder sterben sehen. Annahme und Loslassen finden in meinem Herzen immer zeitgleich statt. Vielleicht habe ich selbst ja einfach nur einen an der „Waffel“. Egal, ich bin so und zum Glück ist da irdisch niemand mehr, dem ich Rechenschaft schuldig bin. Niemand! Die Zecke tut mir leid.

Kurz nicht aufgepasst, meldet sich der Teufel mit den Politikern wieder. Diesmal will er mir die Idee von Roundup und der Schlangenbrut schmackhaft machen. Ich gestehe, er ist raffiniert und kennt meinen Humor ziemlich genau. Grinsend jedoch schicke ich auch diesen Gedanken zum Teufel zurück und konzentriere mich auf die letzten Quadratzentimeter Fell. Gedanken frei, geschafft, dusche ich zunächst den Welpen gründlich, um ihn anschließend trocken zu rubbeln und mit Kamille-Babypuder zu besänftigen. 

Nun besänftige ich mein Jucken und mich und komme endlich, nach der Siesta, zu meiner Dusche.

Ja, auch die Wahrheit, die Freiheit und die Liebe haben einen Preis. Welchen, das kannst Du mir sicher sagen? Heute Abend ist der andere Zwilling dran. Dann denke ich vielleicht weiter?


2 Kommentare:

  1. Was einem so durch den Kopf gehen kann - wundervoll in Worte gefasst. Ich mag Deine authentische Sprache, den Tiefgang, das Sinnieren im wahrsten Sinn des Wortes. Eine wunderschöne Momentaufnahme aus Deinem Leben. Danke Dir!

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