Samstag, 2. Januar 2021

Warum lügst Du mich an?

 


Oft sieht die Wahrheit wie eine Lüge aus.

Johann Peter Hebel (1760 – 1826 - ein alemannischer Vorfahre)


Warum lügst Du so oft? Du lügst nicht? Schon das ist eine Lüge! Sie ist erstaunlich und mir fast unerklärlich: Die Lüge. Sie ist für mich ein großes Mysterium. Nirgends ist auffälliger wie unsere „eigentliche“ Absicht, unser Wertesystem, mit der Wirklichkeit kollidiert. 

Fakt ist: Wir Lügen oft. Im Schnitt – so kursieren Statistiken im Internet – rund 200 mal am Tag. Ganz besonders beginnen wir in der Geschlechterbegegnung zu Flunkern und zu Schwindeln. So verrät eine Studie mit Studenten. Zwei sich unbekannte Studenten, eine Frau und ein Mann treffen sich und führen einen „Small Talk“ in nur 10 Minuten hat jeder im Schnitt drei mal gelogen. Bei 8 Stunden Schlaf wären das am Tag 288 Lügen. Und diese Zahl nur mit viel Nachsicht und niemals nach meinen, mir selbst auferlegten Regeln für die Auslegung dessen, was eine Lüge ist.

Wieder die Frage warum? Geltungsbedürfnis? Angst nicht gut genug zu sein? Eine weitere wissenschaftliche Analyse stellte fest: Je höher das Einkommen, desto häufiger die Lüge. Es scheint so, als würde die Lüge zum Geschäfte machen dazu gehören. Die Steigerung einer Lüge ist dann ein Wahlversprechen. Beim Beruf des Politikers, scheint die Lüge schon zum normalen und somit guten Ton zu gehören. Und wieder die Frage, warum? Und warum akzeptieren wir dies so widerstandslos. Klingt uns hier Jesus in unserem Unterbewusstsein: „Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein...“? Wenn Freundschaften, Ehen, Familien, Firmen, Konzerne und ganze Staaten, unsere Geschichte auf Lügen aufgebaut werden, welche Zukunft hat solch eine Entwicklung? Wo wir doch wissen, Lügen haben kurze Beine. Wir wissen, es ist immer nur eine Frage der Zeit, denn die Wahrheit ist, ohne jegliche Anstrengung, sehr geduldig.

Und immer wieder die Frage: Warum nur Lügen wir, wo es doch so unökonomisch und anstrengend ist? Lass uns zunächst einige Formen und Arten der Lüge anschauen.Da gibt es die wichtigste, die ERSTE Lüge, die Notlüge, die Schutzlüge, die Lüge um Anzugeben, die abgeschwächte Lüge, sie nennen wir dann Flunkern, oder verniedlicht schwindeln, die erpresste Lüge, die Lüge aus Gewohnheit, die implizierte Lüge, die unausgesprochene Lüge (manchmal Geheimnis genannt), die Lüge, die ich selbst Glaube, die unbewusste Lüge und die bewusste und berechnende Lüge. Diese Liste, denke vielleicht selbst darüber nach, lässt sich variantenreich verlängern. Selbst jetzt, beim Schreiben und darüber Nachdenken, erschrecke ich über die Vielzahl, besonders jedoch über die Kreativität, die wir beim Lügen entwickeln. Zum Schutze unseres Menschseins, bin ich mir jedoch ziemlich sicher, die häufigste Form ist die unbewusste Lüge. Diese Erkenntnis wirft ein weiteres Mal, die – in der Natur der Sache liegend – sehr dehnbare Frage auf, was ist denn überhaupt eine Lüge? Man könnte meinen, eine klare Definition der Lüge, wäre die Abwesenheit von Wahrheit. Nun bin ich mit Wörtern recht pingelig und das macht das nächste Fass auf: Was ist die Wahrheit. Für mich ganz klar, die Wahrheit gibt es nur einmal. Sie ist unzweifelhaft. Die Wahrheit IST. Nun frag einen Polizisten der Zeugen zu ein und der selben Wahrheit verhören muss, wie viele „Wahrheiten“ er protokolliert. Meist so viele, wie er Zeugen vernimmt. Somit definiere ich meine und auch Deine Wahrheit als Wirklichkeit. Damit definiert sich die Lüge als eine Veränderung der Wirklichkeit. In meiner Wirklichkeit ist manches Lüge, was in Deiner Wirklichkeit nicht als Lüge gilt. Kannst Du mir folgen? Dabei entsteht zum Beispiel eine Religion. Schon in unserer Sprache steckt sehr viel Ungenauigkeit und damit Potential für die Lüge.

Was meine ich damit? Mein guter Kumpel aus Berlin behauptet die zwei häufigsten Lügen identifiziert zu haben: Die Erste: „Black is beautiful“, die Zweite „Der Scheck ist unterwegs“. (Achtung Humor!) Eine Selbstanalyse, durch genaue Beobachtung meiner Gedanken und Worte, ergab bei mir folgende, am häufigsten gelogenen Worte: Erstens „ich muss“. Zweitens „ich brauche“. Wenn Du da mal genau hinschaust und wirklich ganz aufrichtig mit Dir bist, vielleicht findest Du Dich darin wieder? Beispiele: „Ich muss morgen um 6 aufstehen.“ Gelogen. „Ich muss noch einkaufen.“ Gelogen. „Ich muss...“ ist zu 99 % einfach nicht wahr. Da steht in aller Regel keiner mit der Maschinenpistole im Anschlag hinter mir und zwingt mich. Nein, wir lügen uns da schon an. Wir glauben wir müssen. Wir glauben wir brauchen. In „Wahrheit“ machen wir es immer aus freiem Willen. Lassen wir den Gedanken einmal hier stehen – erlaube es mir bitte – und widmen uns der Frage noch ein letztes Mal: Warum lügen wir? Ein gute Spur zur Antwort führt über die allererste Lüge in Deinem Leben. Nur wenige können sich genau erinnern wann das war. In aller Regel, führt etwas kramen im Gedächtnis, in die Kindheit und in die Familie. Eltern oder Geschwister waren es meist, bei denen wir diese Erfahrung zu ersten Mal machten. Die Ursache – also warum logen wir – war fast immer Furcht oder Angst. Die Angst nicht geliebt oder gar bestraft zu werden. Bestraft für etwas, was ich getan habe, von dem ich glaubte oder glaubte zu wissen, das gefällt Mama oder / und Papa so gar nicht. Um den Schmerz zu vermeiden greife ich zur ersten und damit „Not-Lüge“. Das Eis ist gebrochen. Wie Deine persönliche Lügengeschichte von da an weiter geht hängt stark vom „Ausgang“ der ersten Lüge ab. Wurdest Du erwischt – oder eben nicht? Konntest Du das Gefühl rasch verdrängen oder hat Dich der Schmerz deines Gewissens fast zerrissen?

Wie war die „Kultur“ des Lügens in Deinem Umfeld? Hast Du als Kind rasch festgestellt, um Dich herum wird gelogen, dass sich „die Balken biegen“ oder war Lügen tatsächlich ein „Todsünde“. Du erkennst – Lügen wird zu einer sehr individuellen, Dich begleitenden Geschichte. Aus diesem Grunde ist es vermutlich auch nicht möglich meine „Warum-Frage“ einheitlich zu erklären. Psychologen, Soziologen, Kulturhistoriker u.v.m. haben dazu auch noch eine Meinung. Alles gelogen? Oder doch nicht? Vielleicht alles wahr? Ich habe darauf keine Antwort. Ehrlich! Eines jedoch weiß ich heute aus meiner eigenen Erfahrung. Es lohnt sich bei der Wirklichkeit zu bleiben. Es lohnt sich dem eigenen „Lügen-Verhalten“ auf die Spur zu kommen. Es macht das Leben irgendwie einfacher und stressfreier wenn man das Lügen bewusst zu vermeiden versucht. Abschließend komme ich nun mit einem Impuls auf das müssen und brauchen zurück. Mach doch einmal einen Selbstversuch: Nimm Dir heute vor, das Wort (ich) muss, (wir) müssen, (Du) musst durch (ich) will oder (darf) oder (ich) möchte zu ersetzen. Beachte dabei wie sich das anfühlt. Und bitte erschrecke nicht, sofern dieses denken für Dich recht neu ist, wie oft Du etwas vermeintlich musst! Und wie oft Du Dich und Dein Umfeld damit „beschwindelst“. Jedoch bitte bedenke: Manchmal muss man. Zum Beispiel aufs Klo! Wenn Dir das mit dem „MUSS“ Freude macht, erweitere die Aufgabe um „BRAUCHEN“. Prüfe was Du wirklich, wahrhaftig brauchst – oder eben nur einfach möchtest oder willst. Diese Gedanken machen Dich mächtig!

Wenn Du Deinen Lügen generell auf die Spur kommen möchtest, empfehle ich Dir 21 Tage lang ein Lügen-Tagebuch zu führen. Schreibe einfach ein Stichwort hinein, wenn Du beim Reflektieren über einen Tag auf eine Lüge (Flunkern und Schwindeln, Notlügen etc.) stößt. Du wirst erstaunt sein, wie gut dich dabei Dein Gewissen führt.

Es gibt nur eine einzige Regel: Lüg' Dich nicht selbst an.

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